Neues Terrain: Die Brüder Ingo (links) und Carsten Rückert wollen mit Zubehör und Software für Industrieroboter ein neues Kapitel für ihr Unternehmen aufschlagen, das sie gemeinsam in dritter Generation führen. „Dieses Thema verändert die Branche von Grund auf“, sagen sie. „Da wollen wir unbedingt dabei sein.“ © VME / André Wagenzik

22. Februar 2022: „Die Zelle ist die Zukunft.“ – Der Satz kommt überraschend. Der Mann, der ihn ausspricht, trägt weder Hipster-Bart noch Sneaker, erfüllt mithin keines der gängigen Jungunternehmer-Klischees. „Wir arbeiten hier wie ein Start-up“, sagt Ingo Rückert. Kurze Pause, flüchtiges Grinsen. „Flache Hierarchien, Spaß am Tüfteln und an neuen Dingen – das macht die Kultur in unserem Betrieb aus.“

Für ein Unternehmen aus der Gründerhauptstadt Berlin ist so ein Statement eigentlich nichts Besonders. Doch die Wilhelm Dreusicke GmbH & Co. KG, deren Geschäftsführer Rückert ist, hat schon 105 Jahre auf dem Buckel. Ursprünglich kommt sie aus dem Metier der Büro- und Schreibmaschinen. Für die Firma aus Tempelhof war der Wandel schon immer ein beständiger Begleiter. „Alle zehn bis zwanzig Jahre verschieben sich bei uns die Schwerpunkte“, erzählt Carsten Rückert, Ingos Bruder und dessen Co-Geschäftsführer. „Dann kommt etwas Neues in den Vordergrund.“

Bei Dreusicke sind das jetzt Roboter. Genauer: Roboterzellen – das Drumherum also, das nötig ist, damit ein Industrieroboter in der Produktion überhaupt nützlich wird. Tische, auf denen die Maschinen sicher stehen, Schubladen, in denen Bauteile lagern, Greifer, die daraus Teile für den nächsten Arbeitsschritt entnehmen, Kameras für die Überwachung der Prozesse, Rollenbahnen für die Verarbeitung größerer Werkstücke – das ist das neue Angebot von Dreusicke.

Alles dreht sich um Cobots, also um Roboter, bei denen Mensch und Maschine sozusagen Hand in Hand arbeiten. „Dieses Zusammenspiel verändert die Industrie gerade von Grund auf“, hat Ingo Rückert beobachtet. „Da wollen wir unbedingt dabei sein.“ Die Investition in einen solchen Roboter amortisiere sich für seine Kunden oft bereits nach einem Jahr. Aufgesetzt haben die Rückert-Brüder ihre neue Sparte vor zwei Jahren. „Das Know-how mussten wir uns erst aufbauen. Jetzt können wir unseren Kunden einen echten Mehrwert bieten.“

Neben der Hardware kommt auch die Software auf Wunsch aus dem Hause Dreusicke. „Einem Roboter beizubringen, mit einer Werkzeugmaschine zusammenzuarbeiten, etwas zu palettieren oder zu verpacken, kann sehr komplex sein“, berichtet Ingo Rückert. „Wir haben eine Software programmiert, die es kinderleicht macht. Nicht einmal eine Schulung der Mitarbeiter ist nötig.“ Als der Großonkel der Rückerts vor 105 Jahren das Unternehmen gründete, ging es noch darum, Schreibmaschinen aufzuarbeiten und mit Ersatzteilen für Büromaschinen zu handeln. Im Laufe der Jahrzehnte wandelte sich das Portfolio – die Typenradschreibmaschine stand eine Zeit lang im Mittelpunkt, später Kopierer, Drucker sowie Ersatzteile und Zubehör dafür.

Alles dreht sich: Auf Produkte wie diese Vorschubwalzen für Hochleistungs-Etikettiermaschinen sind die Rückerts stolz. Rechts steckt die Rolle in einem Zwischenstadium, links das Endprodukt. © VME / André Wagenzik

Heute hat das 40 Beschäftigte zählende Unternehmen neben der neuen Robotik noch zwei weitere Standbeine. Wilhelm Dreusicke produziert mit Gummi, Silikon oder Polyurethan beschichtete Walzen und Rollen für Geld- und Fahrkartenautomaten, Etikettendrucker und Kartenleser. Dabei geht es um Präzisionsarbeit. Ihren Gummirollen gestatten die Rückerts nur äußerst geringe Fertigungstoleranzen. Die Beschichtung ist eine Wissenschaft für sich. Denn Gummi besteht aus einem guten Dutzend Komponenten, Temperaturschwankungen während der Produktion sind ganz schlecht. „Nur sehr wenige Firmen in Europa können Rollen in so einer Qualität herstellen“, sagt Ingo Rückert stolz. Er, promovierter Physiker, kümmert sich in erster Linie um diese Sparte.

Sein Bruder Carsten, promovierter Maschinenbauer, steuert den Großhandel mit Werkzeugen und Ersatzteilen für den Kundendienst. Das ist der weitere wichtige Geschäftsbereich von Dreusicke. Im Online-Shop sind mehr als 24.000 Produkte für den B2B-Bereich zu haben – Ersatzteile für Kartenleser ebenso wie Sprays, Reinigungsmittel, Mess- und Prüftechnik und Zubehör für Lötgeräte. Einige Teile sind seit Jahrzehnten im Sortiment. „Wir sorgen dafür, dass der Wartungstechniker beim Kunden seine Arbeit machen kann und nicht ständig Ersatzteile besorgen muss“, sagt Carsten Rückert. Dieser Service hat sich herumgesprochen bis zu Kunden in Europa, den USA, China oder Indien.

Ob die Roboter-Sparte eines Tages auch so international unterwegs sein wird? Der Optimismus ist da. „Wir lernen ständig dazu, die Möglichkeiten sind längst nicht ausgeschöpft“, sagt Ingo Rückert. Klar ist: „Der Druck zur Automatisierung ist nicht nur bei unserer eigenen Fertigung, sondern in der gesamten Branche hoch.“ Das bedeutet: Der Wandel in dem Tempelhofer Unternehmen wird erst einmal weitergehen.

Mehr zur neuen Robotics-Sparte der Wilhelm Dreusicke GmbH lesen Sie hier.
Ingo Rückert ist zudem Mitglied der ersten Stunde in der Industry Innovaters Group der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg und treibt dort die Digitalisierung der industriellen Fertigung und Produktion voran. Mehr dazu erfahren Sie auf www.innovators-group.de.