27. April 2020: Wie richten Hochschulen ihre akademische Lehre in der aktuellen Krise aus? Wie kann die didaktische Umsetzung gestaltet werden? Und was ist auch für Unternehmen anwendbar? Dies und mehr erläutert Prof. Johannes Kirch, Lehrbeauftragter für Personalmanagement und Unternehmensführung and der bbw Hochschule, in unserem Best-Practice-Beispiel.
Wie gestalten Sie die akademische Lehre angesichts der Corona-Krise?
Wir haben bereits im März komplett auf online umgestellt. Seither nehmen wir Prüfungen über das Lernmanagementsystem „Moodle“ ab, das wir auch schon vorher genutzt haben. Normale Vorlesungen hatten bereits vor der Krise einen eLearning-Anteil. Den Präsenzteil von circa 3/4 der Unterrichtszeit führen wir mittlerweile komplett über die Software WebEx durch.
Und wie sieht es mit der didaktischen Umsetzung aus?
Unsere Lehrkräfte sind während der Veranstaltungen meist als Host auch per Video zu sehen. Sie teilen ihre vorbereiteten Inhalte und moderieren Diskussionen mit den Studierenden. Zwischendurch werden weitere Tools wie beispielsweise Mentimeter für Live Polls, Votings, Stimmungsabfragen oder Bewertungen eingesetzt. In Einzel- oder Gruppenarbeitsphasen läuft WebEx weiter. Die Studierenden bereiten dabei autark ihre Inhalte vor, während die Dozierenden für Fragen im WebEx Chat zur Verfügung stehen.
Wie nehmen Ihre Studierenden diesen Modus an?
Das Feedback ist überwiegend positiv. Die Studierenden haben großes Verständnis für diese spezielle Lage. Als unsere Kunden, die ja für unsere Dienstleistung bezahlen, bringen sie aber auch eine gewisse Erwartungshaltung mit, der wir uns als Hochschule mutig stellen. Wir betrachten dies als besonderen Ansporn für kreative und flexible Lösungsansätze.
Sie haben noch ein ganz besonderes Projekt erwähnt, eine Live-Simulation. Worum geht es dabei?
Am Ende des Masterstudiums der Wirtschaftswissenschaften führen wir im Fach Unternehmensplanung verschiedene Disziplinen zusammen und testen diese dann mit einer Live-Simulation. Dazu setzen wir das Tool TOPSIM ein.
Wir teilen die Studierenden in kleine Teams auf und lassen sie jeweils die Verantwortung in einem Unternehmen übernehmen. Dann treten sie in einem simulierten Markt gegeneinander an. Sie haben jederzeit Zugriff auf die Zahlen, die sie als Basis für die rundenbasierten Entscheidungen brauchen. Zwischendurch treffen wir uns im WebEx und werten die Spielrunde gemeinsam aus.
Was versprechen Sie sich davon?
Am Anfang ist es sicherlich abstrakt. Doch sobald sich die Teilnehmenden auf die Zahlenwelt beispielsweise eines produzierenden Unternehmens eingelassen haben, tauchen Sie immer tiefer in die Unternehmensrealität ein. Sie entdecken Zusammenhänge, stellen selber kleine Berechnungen an und pushen ihr Team und sich selbst. In jeder Spielrunde erhalten sie ein relativ direktes Feedback vom Markt, etwa über die Zusammenhänge von Einkaufspreisen für Material, Lagerkosten, Produktions- und Auslastungsplanung, Investitionsrechnung, Personalkapazitätsplanung, Absatzplanung und Verkaufspreise. Und natürlich sehen sie, wie sich die anderen Teams behaupten und wie erfolgreich deren Strategien sind.
Worin besteht aus Ihrer Sicht dabei die besondere Herausforderung?
Die Kunst besteht darin, die Balance zu halten aus einer angenehmen Lernatmosphäre und dem Wettbewerb. Das genau ist die Herausforderung. Wir müssen die Dynamik, die sich aus dem Spiel in den Teams und vor allem auch zwischen den Teams entwickelt, so steuern, dass eine konstruktive Stimmung erhalten bleibt. Die Studierenden sollen Fehler als Quelle für Lernzuwächse erleben und motiviert am Ball bleiben. Das ist im Fernmodus sicherlich nicht immer ganz einfach. Da sehen wir manchmal auch die Grenzen der virtuellen Durchführung. Doch wir greifen dann außerplanmäßig auch auf andere Kommunikationskanäle zurück, um gegenzusteuern und Dynamiken in eine konstruktive Richtung zu lenken.
Inwiefern können Unternehmen von diesen Erfahrungen profitieren?
Unternehmen können erkennen, dass sich komplexe Aufgaben in virtuellen Teams organisieren und bewältigen lassen. Das kann allen Beteiligten einen Mehrwert bieten.
Sie können zudem erfahren, dass Mitarbeiter und Führungskräfte – sofern alle an einem Strang ziehen – auch unter außergewöhnlich schwierigen Bedingungen sehr gute Resultate erzielen können.
Unternehmen können aber auch erleben, dass die soziale Komponente in diesem Setting einer speziellen Aufmerksamkeit bedarf: Sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeiter müssen gerade über größere Distanzen hinweg ein Bewusstsein für gruppendynamische Prozesse entwickeln, damit diese nicht die Erfolge gefährden.